Einen höchst ungewöhnlichen Verlauf nahm die diesjährige Schlussrunde in Bad Wiessee. Während sonst irgendein Brett um Rang 120 eine Seeschlange spielt und die Siegerehrung hinauszögert, während die Spitzenbretter schnell remisieren, war es diesmal umgekehrt: An Brett 1 duellierten sich GM Delchev mit weiß und 7 Punkten sowie der Vorjahressieger GM Nisipeanu mit schwarz und 7,5 Punkten. Die Ausgangssituation war also klar. Nispeanu wollte ein remis für den Turniersieg, während Delchev mit weiß siegen musste. Für Rang 1 betrug das Preisgeld 2.500 EUR, jeder weitere Rang bis zum 4. brachte einen Abzug von 500 EUR. Für Schachprofis ist das schon recht viel Geld. Es war lange nicht klar, ob die Stellung mehr als remis hergab. GM Delchev kämpfte mit Turm, Läufer und 3 Bauern gegen Nisipeanus Turm + 4 Bauern. Die zahlreichen Zuschauer hatten schon fast den Eindruck, der Vorjahressieger könnte erfolgreich eine Festung errichten und zum remis verteidigen. Dann unterlief ihm aber um Zu 100 ein Rechenfehler, der zur sofortigen Niederlage führte! Sieg und erster Platz somit für GM Delchev aus Bulgarien!

Der Endstand


Platz Name DWZ Land/Verein Punkte
1 GM Delchev 2616 BUL 8,0
2 GM Sumets 2509 UKR 7,5
3 GM Nisipeanu 2649 ROU 7,5
4 GM Gupta 2593 IND 7,5
5 GM Kempinski 2522 POL 7,5
6 GM Krämer 2548 GER 7,5
7 GM Postny 2634 ISR 7,5
8 GM Berkes 2676 HUN 7,0
9 GM Rozentalis 2616 LTU 7,0
10 GM Eingorn 2548 UKR 7,0
115 FM Kummerow 2207 Recklinghausen 5,5
128 CM Kaeding 2086 Castrop-Rauxel 5,0
160 Strozewski 1928 Erkenschwick 5,0
228 Müller 1998 Castrop-Rauxel 4,5
368 Sikorski 1622 Herne-Sodingen 3,5




Am besten kann ich natürlich über meinen Turnierverlauf berichten. Ich hatte 1 GM, 1 IM und 3 FM als Gegner, so dass die 5 erzielten Punkte zufriedenstellend waren und zu einem Gewinn von 9 Elo und 22 DWZ-Punkten führte. Absolutes Highlight war natürlich mein Sieg in Runde 2 gegen GM Postny, der schon auf der Sodinger Homepage zum Nachspielen veröffentlicht wurde. Auf so ein Ereignis (Sieg gegen GM mit > 2600 ELO) musste ich immerhin 40 Jahre warten. So lange spiele ich nämlich schon Schach. Ich stand lange etwas gedrückt und leicht schlechter, konnte mir aber taktisches Gegenspiel sichern. Als der Großmeister in Zeitnot geriet, eroberte ich auf diese Weise eine Qualität, die ich zum Glück souverän verwerten konnte. Danach habe ich aber gemerkt, dass Schach doch Sport ist und ich nicht mehr der jüngste bin. Meine Partien im mittleren Turnierbereich dauerten extrem lange und kosteten zu viel Kraft. In der 7. Runde wollte ich es gegen den 16jährigen FM Justin Tan aus Australien (38 Jahre jünger und als Ausgleich 180 Elo-Punkte schwerer als ich) noch einmal wissen und habe mich quasi in eine „all-in Situation“ begeben. Mit Läufer- und nachfolgendem korrekten Damenopfer traktierte ich den gegnerischen König. Um den 40. Zug rum verließen mich aber meine Rechenkräfte. Es mussten 3 weitere Züge zu einem 6,5-Vorteil nach Fritz und Rybka gerechnet werden. Ich sah den Anfangszug nicht! Selbst die von mir gesehene, aber falsch eingeschätzte Alternative brachte einen 3,0-Vorteil. Ich versuchte mich noch einmal zu konzentrieren, gab dann aber Dauerschach. Unter dem Strich war es aber für mich aber ein sehr schönes Turnier, was ich aufgrund des Erfolges in Runde 2 auch nie vergessen werde!

Noch ein paar Anmerkungen zu den Kollegen aus der Region:

FM Heiko Kummerow (Recklinghausen) spielte ein für seine Verhältnisse recht unauffälliges Turnier und war selbst mit seinem Abschneiden überhaupt nicht zufrieden.

Frank Strozewski (Erkenschwick) ist ein absoluter Experte für komplexe Stellungsstrukturen. In der Regel hat er immer lange Partien. Auch hier gab es am Ende einen deutlichen Zugewinn an Elo- und DWZ Punkten.

Frank Müller (Castrop-Rauxel) hatte diesmal freundlicherweise die Tagesberichterstattung übernommen und hierbei schon ausführlich über sein schachliches Gefühlsleben berichtet. Dem ist natürlich nichts hinzuzufügen.

Thomas Sikorski (Herne-Sodingen) verbesserte ebenfalls deutlich seine DWZ-Zahl. Thomas muss allerdings noch lernen, dass man bessere Stellungen gegen stärkere Gegner nicht remisiert, sondern einfach weiter zu spielen hat. Positiv fiel bei Thomas auf, dass er leicht schlechtere Positionen sehr kampfstark verteidigen kann.

Fazit: Bad Wiessee war wie immer ein Erlebnis mit hohem schachlichen Trainingseffekt und enormen konditionellen Anforderungen. Dazu kommt eine traumhafte Landschaft. Also: Wieder ein potentielles Urlaubs- und Schachziel für 2014!